Der Mann hinter Katja Ebstein, O.F. Weidling, Dagmar Frederic, Jonny Hill
Dagmar Frederic, Katja Ebstein, O.F. Weidling, Jonny Hill – Gerhard Gramann aus Leipzig kennt sie alle. Denn die Bühnen der Welt waren sein Zuhause, die Stars der Showbranche haben ihm vertraut. Dabei stand Gerhard Gramann selbst nie im Rampenlicht, und viele Künstler erinnern sich vermutlich nicht an ihn. Auch das gehört zur Lebensgesichte des Ton- und Beleuchtungstechnikers aus dem Leipziger Stadtteil Grünau.
Als Gerhard 1942 zur Welt kommt, gilt vieles an Kunst als staatsfeindlich oder entartet, ist von den Nationalsozialisten verboten und wird verfolgt. Die Familie zieht es daher im Zweiten Weltkrieg von der Großstadt Leipzig nach Thüringen. Gerhard und seine Schwester Christa sollen in der Natur aufwachsen und möglichst wenig mitbekommen von den Gräueltaten.
Nach acht Jahren Schule macht Gerhard eine Lehre zum Dreher, arbeitet im Kugellagerwerk in Böhlitz-Ehrenberg als so genannter Karusselldreher. Mit eigener Hände Arbeit etwas schaffen, das entspricht seinem Naturell. Doch ein Arbeitsunfall 1966 zwingt ihn zu einem beruflichen Neustart.
Doch was tun? Gerhard hat schon immer etwas für Kultur übrig. Er wird Leiter des Jugendclubhauses „Schwarzer Jäger“, wo die Arbeiterjugend und das aufstrebende Bürgertum verkehren und im Sinne des Staates politisch geprägt werden sollen. Gerhards Aufgabe: Für Unterhaltung sorgen. Er macht seine Sache gut, wird Kulturverantwortlicher der Nationalen Front und übernimmt später das Kulturhaus „Einheit“ des Leipziger Baukombinats. Dann wechselt er als Zivilangestellter zur Deutschen Volkspolizei. Seine Berufsbezeichnung umschreibt er gerne selbst als „Mädchen für alles“. In dieser Funktion übernimmt er auch die Tontechnik bei der Leistungsschau der Unterhaltungskunst.
Mit der Arbeit als Ton- und Beleuchtungstechniker hat er seine Nische gefunden und findet Förderer wie den Leipziger Artisten Tilo Rosenberger mit seinem Marionettenspiel „Rumpel-Pumpel-Spaß“) und den legendären O.F. Weidling, Moderator, Conférencier und Publikumsliebling. So wie O.F. Weidling auf der Bühne brilliert, werkelt Gerhard hinter der Bühne. Und jeder weiß: „Auf Gramann kannst du dich verlassen.“ Fortan begleitet er viele prominente Künstler aus dem In- und Ausland. Vier Jahre ist er mit Liedermacher Kurt Demmler unterwegs, ebenso mit Dagmar Frederic und Eberhard Rohrscheidt. Wenn sie alle den Applaus des Publikums ernten, ist ein Teil auch Gerhard zu verdanken, der sie mit Licht und Ton in Szene setzt.
Soundeffekte, die heute digital entstehen und in Online-Bibliotheken zum Herunterladen bereitstehen, mussten damals mit dem Mikrofon aufgenommen werden. Für Gerhard bedeutete das: Um ein bestimmtes Verkehrsgeräusch einzufangen, machte er wochenlang Aufnahmen auf einer belebten Kreuzung.
Gerhard avanciert zum versierten Techniker, seine Auftragsbücher füllen sich von Jahr zu Jahr mehr. Bis zu 88 Veranstaltungen stehen dort in Spitzenzeiten pro Monat. Alleine ist das nicht mehr zu schaffen. 1981 erhalten er und seine Ehefrau Veronika den Berufsausweis Ton- und Beleuchtungstechnik. Und auch die fünf Kinder Michael, Kathrin, Ramona, Andreas und Frank werden in das Familienunternehmen eingespannt. Fotos von seinen Engagements mit Country-Sänger Jonny Hill oder Katja Ebstein („Wunder gibt es immer wieder“) gibt es nicht, Erinnerungen dafür umso mehr.
Trotz aller Promis bleibt Gerhard auf dem Boden der Tatsachen. Bescheiden, rechtschaffen, zuverlässig, vorausschauend. Wenn er sich etwas gönnt, investiert er in Technik.
Doch dann kommt die Wende – und damit auch moderne Ton- und Lichttechnik aus dem Westen. Das Geschäftsmodell der Gramanns ist überholt. Gerhard muss sich neu erfinden, er betreibt eine Kinder-Fahrschule mit Elektroautos, tritt bei Sommerfesten auf. Er hat sich wieder hochgerappelt, dann kommt das Jahr 2002, sein Schicksalsjahr. Er erleidet fünf Schlaganfälle, die ihn an den Rollstuhl fesseln.
Er, der Macher, der immer konsequent und oft auch stur funktioniert hat, ist plötzlich auf Hilfe angewiesen. Er wird demütiger, freut sich über kleine Dinge und kann auf eines vertrauen: dass Veronika ihr Versprechen von 1967 einlöst. Damals, als beide sich in Leipzig das Ja-Wort geben. Sie steht an seiner Seite, pflegt ihn, schwelgt mit ihm gemeinsam in Erinnerungen – auch an diesen einen Tag im April 1964. Damals waren die beiden bei der Planung eines FDJ-Nachmittags aneinander geraten. „Da stand dieser dünne Hering von 48 Kilo vor mir“, sagt Veronika heute. Nein, es war keine Liebe auf den ersten Blick, aber eine Lektion für das Leben: Wer im Streit eine Lösung findet, findet auch in der Liebe immer wieder zueinander.
Am 12. März 2025 ist Gerhard Gramann gestorben.
Nachrufe wie diese schreibe ich als Trauerredner und Journalist regelmäßig für die Leipziger Volkszeitung. Im Mittelpunkt stehen Menschen, die nicht im Rampenlicht stehen, aber Teil der Stadtgeschichte sind. Und die es wert sind, an sie zu erinnern. Sie sind Zeitzeugen und sind es wert, an sie zu erinnern, damit ihre Geschichte nicht vergessen wird. Ob Hausmeister oder Friseurin, Rechtsanwalt oder Sportlehrer. Jeder Mensch hat (s)eine Geschichte – und ich erzähle sie.
Begleitet mich auf die größte Abenteuerreise – das Leben. Mit Humor und Tiefsinn. Ich erzähle – manchmal auch mit Gästen – von großen Festen wie Hochzeit, Taufe und natürlich auch Abschied. Die Trauerfeier, letzte Fest eines Menschen auf Erden. Bei all diesen Lebensereignissen spreche ich als freier Redner – als Wunschredner.
Und alle dieser Feierlichkeiten haben eines gemeinsam: Es geht um Leben, Lieben, Lachen.
Ja, auch bei der Trauerfeier darf geschmunzelt werden. Und auch Episoden aus dem Familienleben bleiben nicht verborgen. Von der Erdbestattung eines Regenwurms bis zur Verwandlung von Wasser in Eis.