Vor dem Tod kommt ganz viel Leben
Gabi ist eine moderne Frau, war sie schon früher. Damals, als sie raus wollte aus dem kleinen Dorf unweit von Leipzig. Sie hat auf ihre Geschwister aufgepasst, und mit ihrer Straßengang Freiheit geschnuppert. Die Ausbildung in Leipzig bescherte ihr Großstadtflair, den Besuch von Revues und Partys. Die Liebe ließ sie in dem kleinen Dorf bleiben, aber sie hat die Grenzen für sich neu abgesteckt. Selbständig, anpackend, ideenreich und nimmermüde. Sie engagiert sich für soziale Benachteiligte und kinderreiche Familien, sie eröffnet gleich nach der Wende einen Supermarkt in einer alten Turnhalle, sie macht mehrere Ausbildungen, die alle eines gemein haben: Sie möchte helfen, nicht larmoyant dem Gestern nachtrauern, sondern das Morgen gestalten.
Und wenn das Leben dir hundert Gründe zum Weinen gibt, zeige ihm, dass du 1000 Gründe zum Lächeln weißt.
Doch dann erhält sie eine Diagnose, die Zeit zu einem knappen Gut werden lässt. Aber sie ist nicht allein. An ihrer Seite steht vor allem ihre beste Freundin, ihre Vertraute, ihre Tochter, das Sonntagswunschkind, dem sie einst die buntesten Kindergeburtstage im Wohnzimmer ausrichtete und das sie mit in die Großstadt zum Eisessen in die Milchbar Pinguin nahm. Dem sie mit einem steinböckig-strengen Blick und jeder Menge Lachen den Weg durchs Leben bahnte. Die trotz Konventionen vorgelebt hat, dass man alles erreichen kann, wenn man es nur will – egal, was die anderen sagen. Ganz nach dem Motto: Und wenn das Leben dir 100 Gründe zum Weinen gibt, zeige ihm, dass du 1000 Gründe zum Lächeln weißt.
Trauergespräch heißt Reden, Erinnern, Glücksmomente einfangen
So lerne ich Gabi in unsrem Trauergespräch kennen. Der gedeckte Kaffeetisch zum Empfang, viele Fotos und noch mehr Postkarten-Sprüche, Kleidung und Souvenirs, das Gesellinnenstück der ersten Ausbildung als Kunstbuchbinderin, der Blick auf die Terrasse in die grüne Oase. Ich bekomme dank der Tochter ein gutes Gefühl für den Menschen, dessen Lebensreise ich erzählen darf, ohne ihn je persönlich kennengelernt zu haben. Die genauso wie ich eines nicht kann: Geduld und einfach still da sitzen. Nein, wir wollen es anpacken.
Der Tag der Trauerfeier – Herzlichkeit, Tränen und Lebensfreude
Vier Tage später treffe ich die Tochter wieder, über Mail und Telefon ist der Kontakt bis dahin kontinuierlich. Es ist ganz normal: Manches Detail fällt den Angehörigen im Lauf der Zeit noch ein, auch wenige Stunden vor der Trauerfeier. Und da steht sie, in der Johanniskirche in Zwenkau. Wirbelt umher, rückt die Deko zurecht, hat liebevoll ein Schild auf die Staffelei drapiert. Darauf steht die Quintessenz: MAMA ist die Allerliebste.
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Anders als viele Angehörige übernimmt die Tochter die Regie, hat Trauerredner und Musikerin selbst gebucht, die Absprachen mit dem Friedhof getroffen. Auch das ein wichtiges Element der Trauerarbeit für manche, jeder trauert anders. Und jetzt wird Hand an die Dekoration gelegt, rosa-pinke Töne dominieren. Nicht schreiend, sondern stilvoll. Vom Urnenständer mit weißem Tuch läuft eine Blumengirlande zu Boden. Überhaupt die Blumen: Wahnsinn! Und die Urne? Ein selbst entworfenes Designobjekt, ein Unikat. Es ist frostig in die Kirche, aber die Atmosphäre so herzlich und warm. Das wird keine Trauerfeier, sondern ein Hoch auf das Leben voller Dankbarkeit, Respekt und Demut.
Ich treffe die letzten Absprachen mit Bestatter, Musikerin, Friedhofsmeisterin und der Tochter. Dann wie immer ein paar Minuten für die innere Konzentration beim Rundgang über den Friedhof, Aufwärmen der Stimme. In der benachbarten Schule toben Kinder, lautes Kinderlachen – das hätte Gabi gefallen. Bloß nicht still und traurig, bloß nicht zu viel Abschied. Viel mehr wie bei Sarah Connor:
Ich will, dass ihr feiert, ich will, dass ihr tanzt
Mit ‘nem lächelnden Blick und ‘nem Drink in der Hand
‘N Heißluftballon, auf dem riesen groß steht
Das Leben ist schön, auch wenn es vergeht
Und wenn ihr schon weint, dann bitte vor Glück
Dann bin ich da oben, ja
Und ich sing’ mit euch mit, ja
Ich sing’ mit euch mit, yeah
Auf den Drink verzichten wir (auch wenn ich das schon öfters in Trauerfeiern als Abschiedsritual eingesetzt habe). Aber den brauchen wir auch gar nicht. Mit Worten und Musik feiern wir, tanzen durch das Leben und bereiten Gabi ein Fest, das ebenso fröhlich wie feierlich ist. Manche der vielen Dutzend Gäste haben bei meiner Lebensrede Tränen in den Augen, andere wippen bei der Musik mit und ich sehe vor allem eines: Kopfnicken und Lächeln. Auch wenn Gabi nicht unter uns ist, sie ist bei uns. “Das Leben ist schön. Von einfach war nie die Rede.“ Einer der vielen Postkarten-Sprüche, die Gabi gesammelt hat. Es könnte ihr Lebensmotto sein.
