Das ganze Leben gearbeitet, immer für andere da und dann ist das Ziel so greifbar nah: Der Ruhestand. Endlich Zeit haben, sich den Tag selbst einteilen. Nicht mehr Müssen, sondern Dürfen. Und kurz vor der Zielgeraden dann der Tod. Aus dem Nichts. Als Trauerredner treffe ich viele Menschen, die genau ihren Partner in dieser Situation verloren haben. Und mitunter fehlen mir dann für ein paar Sekunden – die unheimlich lang wirken – die Worte. Weil ich geschockt bin. “Haben Sie schon mal in einer Rede geweint”, hat mich gestern eine Witwe gefragt. Ja, habe ich. In vielen Reden gibt es eine Stelle, an der meine Augen feucht und die Stimme etwas leiser wird. Es berührt mich. Und ich glaube, es ist auch in Ordnung, ehrliche Gefühle zu zeigen.
Dabei fällt mir die Geschichte von J. ein. Er kommt vor sechs Jahrzehnten aus Polen nach Deutschland. Seine Eltern haben sich mit den Kindern auf den Weg gemacht, damit sie es einmal besser haben sollen. Er lernt Deutsch in der Schule, macht eine Lehre, kommt viel herum in der DDR. Seine berufliche Wege sind weit verzweigt, Leipzig bleibt der Knotenpunkt. Dort gründet er eine Familie, erlebt Freude und Leid und beschenkt seine Familie mit dem Wichtigsten: Zeit. Hier tankt er auf, es ist wie eine Rast beim Wandern. Wo man sich erholt, die Seele baumen lässt, Kraft und Mut trankt für die nächste Etappe.
Zu diesem Lebensweg gehört für ihn auch seine Leidenschaft: der Fußball. Sein Verein: Lok Leipzig. Ein ganz besonderes Kapitel. Und dies findet sich nicht nur in der Trauerrede wieder, sondern auch in der gesamten Trauerfeier. Mit Musik von der Tanzkapelle Südfriedhof. Und natürlich passt auch die Urne dazu. In Form eines Fußballs, mit genug Raum für den Fanschal. Blau und Gelb sind unsere Farben, Blau und Gelb sind seine Farben.
Und auch wenn aus vielen Wünschen (wie dem Kennenlernen des ersten Freundes der Enkelin) nichts mehr geworden ist, viele Pläne und Träume nie mehr realisiert werden können, eines bleibt: Die Gewissheit, das Glück entlang des Weges gefunden und die Zeit bestmöglich genutzt zu haben. Denn oft sind es die kleinen Wegmarken, die viel mehr Freude bereiten als das weitgesteckte Ziel. Die erreichbar sind und uns Kraft geben. Und jeder, der einen Weg beschreitet, hinterlässt auch Spuren. Die Spuren von J. sind tief, erinnerungswürdig, fröhlich, unvergesslich. Und das macht Mut.
Begleitet mich auf die größte Abenteuerreise – das Leben. Mit Humor und Tiefsinn. Ich erzähle – manchmal auch mit Gästen – von großen Festen wie Hochzeit, Taufe und natürlich auch Abschied. Die Trauerfeier, letzte Fest eines Menschen auf Erden. Bei all diesen Lebensereignissen spreche ich als freier Redner – als Wunschredner.
Und alle dieser Feierlichkeiten haben eines gemeinsam: Es geht um Leben, Lieben, Lachen.
Ja, auch bei der Trauerfeier darf geschmunzelt werden. Und auch Episoden aus dem Familienleben bleiben nicht verborgen. Von der Erdbestattung eines Regenwurms bis zur Verwandlung von Wasser in Eis.