Kurz vor Weihnachten erhielt ich den Auftrag für eine Trauerrede, es sollte die letzte des Jahres sein. Die Tote ist mit oder an Corona gestorben, auch die nächste Angehörige ist infiziert. Beim ersten Telefonat wollte ich eigentlich nur einen Termin ausmachen, aber wir kamen sofort ins Erzählen. Und dann fiel ein Satz, der mich zutiefst berührt hat: „Ich bin seit zwei Wochen in Quarantäne und habe nicht mal jemanden, der mich mal in den Arm nehmen kann.“ Diese Worte zeigten mir, wie schwer die aktuelle Situation jenseits der Zahlen ist, wie wichtig es ist, Hoffnung in kleinen Dosen greifbar werden zu lassen.
Auch das Vorgespräch für die Trauerrede führten wir wegen der Quarantäne telefonisch. Viele Angehörige haben Manschetten davor, weil es weniger persönlich ist. Aber aus voller Überzeugung kann ich sagen: Nein, gar nicht. Denn wir haben ein ganz persönliches Thema, über das wir reden. Die räumliche Trennung spielt nach zwei, drei Minuten überhaupt keine Rolle mehr. Im Gegenteil: Sie können sich auch mal gehen lassen, ohne dass ein Fremder Ihre Tränen sieht. Ein Telefonat dauert in der Regel genauso lange wie ein Vor-Ort-Trauergespräch und es ist in keinster Weise oberflächlicher. Manchmal geht es sogar tiefer. Wir reden über Persönliches, über Hoffnung, über Verantwortung, über Trauer – aber nie abstrakt, sondern immer konkret. Ich habe gemerkt, dass es vielen gut tut, am Telefon zu sprechen, weil sie sich vollends darauf konzentrieren können.
Am Abend vor der Erdbestattung mit einer Wunschrede-Trauerrede und Live-Musik ereilte mich ein Anruf von einer jungen Frau. Sie lebte vor mehr als 20 Jahren – damals als Kind – mit ihren Eltern und Geschwistern im selben Haus wie die Verstorbene. Die Familie stammt aus Vietnam. Binnen kurzer Zeit wurde aus Nachbarschaft Freundschaft, aus Freundschaft wurde Familie. Die junge Frau bat mich, ein paar persönliche Zeilen vorzutragen, da sie coronabedingt nicht zur Trauerfeier kommen kann. Darin heißt es:
“Wir können bis heute nicht in Worte fassen, wie dankbar wir dafür sind.
Dankbar dafür, dass du uns in schwierigen Zeiten geholfen hast.
Dankbar dafür, dass du uns immer mit dem besten Essen verwöhnt hast.
Dankbar dafür, dass du immer an uns gedacht hast, auch als wir nach Berlin gezogen sind.
Oma du bist und bleibst, die beste Oma die man haben kann.
Wir lieben und vermissen Dich.“
Als ich diese Zeilen am Abend das erste Mal las, hatte ich Tränen in den Augen. Ja, auch Trauerredner dürfen Gefühle zeigen. Denn ohne Empathie ist dieser Beruf nicht machbar. Mitfühlen ist erlaubt! Das Schöne an meinem Beruf als Trauerredner in Leipzig und weit darüber hinaus ist, ich lerne unheimlich viele Menschen kennen und darf ihre Geschichten aufschreiben und erzählen. Für dieses Vertrauen bin ich jedesmal aufs Neue dankbar. Es ist mir eine hehre Aufgabe. Dass es mir gelingt, binnen kürzester Zeit Menschen und ihr jahrzehntelanges Wirken zu erfassen, dafür bin ich dankbar.
Noch bevor ich nach der Trauerzeremonie zuhause ankam, hatte ich eine Sprachnachricht auf dem Handy. Worte der Angehörigen voller Dankbarkeit für die Trauerfeier, meine Art die Lebensgeschichte zu erzählen und die Live-Musik. Vier wunderbare Titel auf der Panflöte, gespielt von Jan Klein alias J.K. du Dramont.
Warum steht diese Trauerfeier symbolisch für das Jahr? Weil sie uns deutlich macht, dass auch ganz schlimme Dinge kleinen Funken Hoffnung beinhalten, schöne Momente. Und 2020 hat uns auch gelehrt, dass es vor allem um eines geht: um Menschen, um Freundschaften, um Liebe. Nicht nur ganz am Ende eines Lebensweges oder bei Hochzeiten, sondern unser ganzes Sein auf Erden.
Begleitet mich auf die größte Abenteuerreise – das Leben. Mit Humor und Tiefsinn. Ich erzähle – manchmal auch mit Gästen – von großen Festen wie Hochzeit, Taufe und natürlich auch Abschied. Die Trauerfeier, letzte Fest eines Menschen auf Erden. Bei all diesen Lebensereignissen spreche ich als freier Redner – als Wunschredner.
Und alle dieser Feierlichkeiten haben eines gemeinsam: Es geht um Leben, Lieben, Lachen.
Ja, auch bei der Trauerfeier darf geschmunzelt werden. Und auch Episoden aus dem Familienleben bleiben nicht verborgen. Von der Erdbestattung eines Regenwurms bis zur Verwandlung von Wasser in Eis.