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16. Februar 2023

Leipzigerin ist ein Sinnbild deutscher Geschichte – ein Nachruf

Als Veterinärmedizin-Studentin erlebt sie den Volksaufstand, als Virologin arbeitet sie am Masernimpfstoff. Ihr spätes Glück findet sie in ihrer Jugendliebe.
Leipzigerin ist ein Sinnbild deutscher Geschichte – ein Nachruf

Jeder Nachruf ist ein Stück deutscher Geschichte. Bei meinem Porträt über die Leipzigerin Barbara Milde durfte ich posthum eine Frau kennenlernen, die mit ihrer Lebensgeschichte locker eine ganze Biografie füllen könnte. Es geht um große Politik, die Stellung der Frau, der Wert der Liebe – unfassbares Glück und tiefe Traurigkeit. 

Die letzte Ruhestätte liegt in der Natur

Barbara Milde, Leipzig, Nachruf, Biografie, Veterinärmedizin, Uni Leipzig, DDR, Thüringen, BuchenwaldIn wenigen Wochen wird Barbara im FriedWald in Bennewitz (Landkreis Leipzig) beigesetzt. Es wäre ihr 92. Geburtstag. Unter einer Weißbuche, die sie sich selbst ausgesucht hat mit Enkelin Tilda und Tochter Christine. Eins sein mit der Natur – das war schon früher so. Damals, in den 1930er Jahren, auf dem Bauernhof in Thüringen. Wo Vater Waldemar – eigentlich Dirigent – sich selbst verwirklichte mit biodynamischer Landwirtschaft nach Rudolf Steiner. Aufwachsen mit Pferd, Hund, Esel – ein Mädchentraum.

Ein Albtraum hingegen das, was in Sichtweite des Hofes passiert. Dort liegt das Konzentrationslager Buchenwald. Im größten Konzentrationslager des Deutschen Reiches sterben bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges mehr als 56.000 Menschen  an Folter, medizinischen Experimenten und Auszehrung.

Auf der Flucht – Hoffnung im Gepäck

Die Familie verlässt Thüringen, zieht nach Brandenburg und flieht 1945. 250 Kilometer zu Fuß, auf dem Fahrrad, mit dem Zug. Nur einmal, in Kloster Pforta, schläft Barbara in einem Bett. Daran erinnert sie sich Jahrzehnte später noch genau und zieht ihre Lektion daraus: Jeder kann unverschuldet zum Flüchtling werden. Fremdes sollte man nicht abweisen, sagt sie sieben Jahrzehnte später, als in Leipzig, Deutschland und Europa vermehrt Flüchtlinge aus Syrien Schutz suchen. Auch sie haben im Gepäck vor allem eines: Hoffnung.

Glück auf der Rennbahn

Barbara Milde, Leipzig, Nachruf, Biografie, Veterinärmedizin, Uni Leipzig, DDR, Volksaufstand, 1960erNach dem Krieg erfüllt sich für Barbara der Traum vom Studium, auch wenn das Studienfach nicht ihre erste Wahl ist. Sie schreibt sich an der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig ein. Aber sie macht das Beste daraus, genießt die Freizeit auf der Rennbahn im Scheibenholz mit ihrem Lieblings-Kommilitonen Hans-Günther, lernt dort ihren späteren Ehemann Johannes kennen.

Ein Trio, das wie Pech und Schwefel zusammenhält – und jeden Gewinn im Prager Biertunnel, in der Goldenen Kugel oder im heutigen Café Grundmann umsetzt. Aber es gibt auch düstere Kapitel dieser Zeit: Sie erlebt den Volksaufstand in der DDR mit am 17. Juni 1953, sieht wie die Panzer vor dem Hauptbahnhof bedrohlich die Gefechtsrohre schwenken, aus den Fenstern der FDJ-Bezirksleitung fliegen Papiere und Schreibmaschinen.

Impfstoff, Jazz und Westfernsehen

Barbara Milde, Leipzig, Nachruf, Biografie, Veterinärmedizin, Uni Leipzig, DDR, Virologie, Masern, Serumwerk Oelzschau, Kohren-Sahlis„Auf das, was sie zeitlebens stolz war, ist die Entwicklung des DDR-eignen Masernimpfstoffes“, sagt Tochter Christine. Als Leiterin der technischen Kontrolle im Serumwerk Oelzschau leistet sie ihren Beitrag dazu. 1970 wird die Masernimpflicht in der DDR eingeführt. Linientreu ist Barbara nicht. Zuhause – zwischenzeitlich in Kohren-Sahlis – werden Platten von Glenn Miller und Bill Haley aufgelegt. Die Kinder Barbara und Christine dürfen West-Fernsehen schauen. Umso mehr eichen Mutter Barbara und Vater Johannes ihre Kinder zur Vorsicht. “Sie war immer die perfekte Mutter, so warmherzig“, sagt Christine. Aber es gibt auch Phasen tiefer Traurigkeit, auch das gehört zu Barbaras Biografie. Genauso wie ihr schwarzer, manchmal zynischer Humor.

Spätes Glück in Leipzig

„Wir Töchter haben sie gern die Königin von Saba genannt“, sagt Christine. Das passt irgendwie. Eine Frau mit großer Weisheit, hohen Ansprüchen, manchen Geheimnissen und tiefer Schönheit. Diese Mischung fasziniert auch ihre Jugendliebe, die sie 2001 wiedertrifft – und heiratet: Kurt Milde. Er ist Architekt, sie begleitet ihn auf Reisen, sie genießen die Kultur und all das, wonach sich Barbara immer sehnte: Geborgenheit und Respekt. Auch wenn ihnen bis zu seinem Tod nur sechs gemeinsame Jahre in Dresden vergönnt sind. Seit 2008 ist Barbara wieder eine Leipzigerin. „Der Kreis schließt sich, hier wo alles begonnen hat“, sagt sie gerne. Am 19. Dezember 2022 ist sie gestorben.

Der komplette Beitrag findet sich in der Leipziger Volkszeitung. Dort sind auch weitere Nachrufe zu lesen, in denen ich regelmäßig Menschen aus Leipzig und der Region vorstelle und ihre Lebensgeschichte erzähle. 

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