Die Auftritte von Harry Künzel in und um Leipzig sind legendär. Auch Jahrzehnte danach erinnert sich manch einer gerne, wie er ganze Tanzsäle unterhält. Kein Wunder, er ist Vollblutmusiker, Mister Swing und ein Original. Grund genug für eine Würdigung.
Ein Nachruf über Harry Künzel kann eigentlich nur im Kulturteil der Leipziger Volkszeitung stehen, denn er hat – ganz bodenständig – das Kulturleben der Region bereichert.
Musik ist für ihn nichts Elitäres, er bringt sie zu den Menschen vor Ort, steckt sie an mit seiner Begeisterung. Und das über Jahrzehnte hinweg. Er leitet etliche Chöre in Leipzig und Taucha, auch den Singkreis in Hohenheida. Er unterrichtet an der Hochschule für Musik in Leipzig. Er prägt die Kulturszene von Taucha und versprüht in der Kleinstadt ein bisschen Flair der großen weiten Welt, wenn er mit Klarinette und Saxophon seine Musik spielt.
Seine Musik ist der Swing. Jene Stilrichtung des Jazz, die in seiner Kindheit in den USA entstand und Ende der 1940er Jahre seinen Höhepunkt feierte. Und auch wenn die Nationalsozialisten den Swing vehement versuchten zu verbieten, der Zeitgeist der Jugend war stärker. Und einer dieser Jugendlichen war der musikbegeisterte Harry, geboren in einem musikalischen Elternhaus.
Vater Richard ist Schlagzeuger und nimmt Harry – den zweitältesten von sechs Kindern – früh mit zu Engagements. Wenn in Taucha der Zirkus gastiert und Richard und seine Combo live spielen, hat auch Harry seine ersten Einsätze am Akkordeon. Nur manchmal verpasst er sie, weil er so fasziniert von den Artisten ist. Dann stupst ihn der Vater von hinten an. Das Akkordeon ist Harrys erstes Instrument, viele weitere sollen folgen. Die Klarinette, das Saxophon, die Orgel. Früh zeigt sich sein Talent; auf dem musikalischen Gymnasium in Leipzig genauso wie im Kinderzimmer. Die Künzels wohnen damals über einer Kneipe: Immer wenn des Abends die Türe aufgeht und Harry Fragmente eines Liedes hört, greift er zum Fußende seines Bettes, wo das Akkordeon liegt, und spielt es nach.
Das ist der Beginn einer Musikerkarriere. Er schließt das Klarinetten-Studium ab, hat Vorspiele in Dresden und Berlin – und bleibt dennoch in Leipzig. Denn zu dieser Zeit ist seine spätere Frau Christa schwanger. „Jetzt kannste dich nicht verdrücken, musst dich um die Familie kümmern“, gibt Schwiegervater Otto ihm mit auf den Weg. Um die Familie zu ernähren, tritt er eine Stelle als Musiklehrer an. Fortan heißt es: vormittags Unterricht, dann Mittagsschlaf und zum Abend eine der vielen Muggen, wie Auftritte in Künstlerkreisen heißen.
Live-Musik hat in den 1950er und 1960er Jahren in der Prä-Disco-Ära einen anderen Stellenwert. In verschiedenen Formationen wird zum Tanz aufgespielt. Und immer greift Harry nicht nur zum Instrument, sondern schafft es mit seiner Art ganze Säle zu unterhalten. Mit seiner Lockerheit gibt er gerne den Entertainer, ist landauf und landab mit seiner Band unterwegs und weiß überall das Publikum zu begeistern.
Immer mit dabei: Christa. 1950 hat er sie auf dem Karneval in Taucha kennengelernt, ein Jahr später fahren sie in einer Kutsche als Hochzeitspaar durch die Parthestadt. Und seither gibt es sie nur im Doppelpack. Für die gelernte Schneiderin wird Harry zu ihrem Lebensinhalt. So wie große Bands ihre Roadies dabeihaben, die sich um Auf- und Abbau von Instrumenten und Technik kümmern, so ist Christa an seiner Seite. „Ihre Erfüllung war die Familie“, sagt Lutz Künzel. Der älteste Sohn der beiden ist auch Musiker geworden, wenn auch eher rockig unterwegs. Im Harry-Künzel-Sextett sind beide auch gemeinsam aufgetreten. „Das waren alles richtig alte Haudegen, ich habe viel von ihnen gelernt.“
Aber auch die anderen beiden Kinder werden bei Auftritten gerne integriert. Tochter Christiane (heute Augenärztin in Leipzig) macht die Ansagen und singt in den verschiedenen Chören mit. Der jüngste Sproß, Tobias Künzel, geht seinen Weg von den Thomanern bis zu den „Prinzen“. Harry und Christa blicken mit Stolz auf die Lebenswege ihrer Kinder. „Noch heute singen wir zu allen Gelegenheiten, feiern Weihnachten und Ostern zusammen“, sagt Lutz. Mit sechs Enkeln und neun Urenkeln kommt ein großer Chor zusammen. Keine Frage: Harry ist der Bandleader – auch in der Familie. Sein Instrumentenkasten besteht hier vor allem aus Großzügigkeit, Ehrlichkeit und Hilfsbereitschaft.
Auch wenn die Auftritte in den zurückliegenden Jahren gesundheitsbedingt weniger werden, überall wo Harry auftaucht, kommen Erinnerungen hoch. An den Universalmusiker mit dem Strohhut; die sogenannte Kreissäge ist sein Markenzeichen. Anfang März ist Harry Künzel gestorben. Wenige Wochen später folgt ihm seine Frau Christa. Die beiden sind unzertrennlich – so wie in den zurückliegenden mehr als sieben Jahrzehnten.
Begleitet mich auf die größte Abenteuerreise – das Leben. Mit Humor und Tiefsinn. Ich erzähle – manchmal auch mit Gästen – von großen Festen wie Hochzeit, Taufe und natürlich auch Abschied. Die Trauerfeier, letzte Fest eines Menschen auf Erden. Bei all diesen Lebensereignissen spreche ich als freier Redner – als Wunschredner.
Und alle dieser Feierlichkeiten haben eines gemeinsam: Es geht um Leben, Lieben, Lachen.
Ja, auch bei der Trauerfeier darf geschmunzelt werden. Und auch Episoden aus dem Familienleben bleiben nicht verborgen. Von der Erdbestattung eines Regenwurms bis zur Verwandlung von Wasser in Eis.