Der Tod gehört zum Leben. Was für ein abgedroschener Satz! Natürlich weiß jeder, dass jedes Leben endlich ist. Dennoch kommt der Tod meist “ungelegen”. Da sind noch so viele Pläne und Wünsche, die lang ersehnte Urlaubsreise ist zum Greifen da – und dann ist mit einem Schlag alles anders. Was bleibt sind viele offene Fragen, manchmal auch ungeklärte Themen, Unausgesprochenes. Die Selbstbestimmtheit des Lebens weicht dem Ungewissen. Und dann kommt auch noch ein Fremder ins Haus, der die Trauerrede halten soll. Das ist der Ausgangspunkt für meine Arbeit als Trauerredner in Leipzig und bundesweit.
Eins gleich vorweg: Als Freier Redner kenne ich keinen Alltag. Natürlich gibt es Büroroutinen und Arbeitsabläufe. Aber so individuell wie Trauer ist, so individuell ist auch mein Arbeitstag. Das beginnt bei den Arbeitszeiten (öfters auch abends und am Wochenende, wenn die Familien zusammenkommen), oft kurzfristig (gerade bei Erdbestattungen) und natürlich auch in der Gesprächsführung. Ich höre zu, lasse mich ein, führe die Gesprächsfäden zusammen und behalte auch in weitverzweigten Familienstrukturen den Überblick. “Der letzte Redner hat uns nach der Lieblingsfarbe gefragt. Ist das schlimm, wenn ich nicht weiß, was die Lieblingsfarbe meiner Mutter war?” Nein, natürlich nicht. Ich bin kein Freund von Standardfragen, weil das Leben kein Standard ist. Es ist immer einzigartig. Und daher sind auch meine Fragen der Situation und dem Leben angemessen. Mal geht es um Literatur oder Musik, mal um das perfekte Rezept für den Weihnachtsbraten, mal um die H0-Eisenbahn oder Fußball. Und immer lerne ich etwas Neues dazu.
Aber immer geht es vor allem um den Kern, die Familie. Und das ist manchmal reichlich kompliziert.
Binnen Minuten tauche ich ein in eine Biografie, zeichne einen Lebensweg nach. Und häufig entschuldigen sich Angehörige, weil sie nicht dem Idealbild (wer immer dies aufgestellt hat) entsprechen. Da gibt es Trennungen, eine heimliche Liaison, Patchwork-Familien, Coming-outs und viele Dinge, die man keinem Dritten erzählen möchte: Spielsucht, Privatinsolvenz, Kindstod, Gewalt, Alkoholmissbrauch und und und. Aber gerade im Trauergespräch ist ein guter Zeitpunkt, darüber zu sprechen. Denn nur, wenn ich ein Gesamtbild habe, kann ich eine würdevolle Trauerrede halten. Im Trauergespräch ist der Zeitpunkt, alle Karten auf den Tisch zu legen. Mein Versprechen: Ich kann schweigen. Und ich haue in der Trauerrede niemanden in die Pfanne. Ich brüskiere niemanden. Ich würdige und ehre. Ich bin kein Therapeut, aber ich spreche Dinge an, die die Hinterbliebenen bewegen. Wie? Ich spreche zwischen den Zeilen, so dass Eingeweihte das verstehen, was sie manchmal jahrzehntelang beschäftigt. Damit sie jetzt Ruhe finden, abschließen können. Ich spreche so, dass es Insider verstehen und Außenstehende nicht konfrontiert werden.
Eine gute Trauerrede ist mehr als eine 30-minütige Zeremonie in der Trauerhalle, Kirche oder Kapelle. Es ist ein Sich-Bewusstmachen, Sich-Auseinandersetzen – ein wichtiges Momentum der Trauerarbeit. Dieser Tage sagt eine Frau im Trauergespräch: “In Vorbereitung auf unser Gespräch ist mir bewusst geworden: Ich kenne meinen Vater eigentlich gar nicht.” In dieser Aussage schwingt unheimlich viel Traurigkeit und Enttäuschung mit. In den folgenden zwei Stunden sind wir gemeinsam auf Spurensuche gegangen. Ich habe vier eng beschriebene Seiten gefüllt. Und die Tochter sagte am Ende: “Danke, da ist doch mehr, als ich geglaubt habe. Sie haben mir die Augen geöffnet.”
Was am Schwersten fällt, ist ein Abschied ohne Abschied. Da ist dieses romantisierende Bild vom friedlichen Einschlafen. Was für eine Groteske, die durch das Wort “schlafen” schon suggeriert, dass jemand wieder voller Energie aufwacht. Weit verbreitet und dennoch unerfüllt. Denn die wenigsten Menschen sterben am Ende eines glücklichen, zufriedenen und runden Lebens. Die einen leiden entweder und sind nicht mehr selbstbestimmt, die anderen werden plötzlich aus dem Leben gerissen. Im Urlaub, kurz nach Beginn der Rente oder als unzureichend diagnostiziert aus dem Krankenhaus entlassen. “Wenigstens musste er nicht leiden”, sagen die Angehörigen dann oft. Ein kleiner Trost, aber dennoch sitzt der Schmerz des Verlustes tief, weil sie sich nicht mal verabschieden konnten. Dem Verstorbenen keine gute Reise wünschen konnten, keinen lieben Gedanken mitgeben konnten.
Aber auch dafür ist eine Trauerfeier da, um Dinge auszusprechen, Wünsche in Worte zu gießen. Es geht beim Abschied nicht darum, auf alles eine Antwort zu haben, wir dürfen auch Fragen stellen. Wir dürfen auch dem Verstorbenen Wünsche mit auf den Weg geben, die aus der Mitte der Angehörigen kommen. Wir dürfen erinnern an die schönen Stunden, Schmunzeln, Lachen und ihn einfach in unsere Mitte holen. Erlaubt ist, was gefällt, wenn wir sein letztes Fest feiern. Heute Mittag habe ich auf dem Friedhof nach dem Absenken der Urne mit den Angehörigen einen Schnaps getrunken. So wie er ihn immer getrunken hat, seinen Kräuterlikör. Mehr als eine kleine Geste.
Aus all diesen Gründen spreche ich auch nicht von einer Trauerfeier, sondern von einer Lebensfeier. Denn wir feiern nicht die Trauer, sondern das Leben! Tod und Trauer heißt nicht, dass alle todtraurig sein müssen. Auch das ist eines meiner Erfahrungen: Nach einer guten Rede gehen die Angehörigen, Freunde und Nachbarn leichter aus der Trauerhalle raus als sie reingekommen sind. Die richtigen Worte zur richtigen Zeit spenden Kraft.
Was in Erinnerung bleibt, ist nicht die Anzahl der Gestecke oder der andächtige oder gar sterile Raum der Trauerhalle. Was bleibt, ist die Atmosphäre, die wir schaffen. Der Moment, in dem wir den Verstorbenen beim Abschied in unsere Mitte holen. So wie er war, so wie er ist, so wie er bleiben wird.
Übrigens: Das gilt nicht nur für Menschen, sondern für jede geliebte Seele. Deswegen biete ich auch Trauerfeiern für Tiere an.
Begleitet mich auf die größte Abenteuerreise – das Leben. Mit Humor und Tiefsinn. Ich erzähle – manchmal auch mit Gästen – von großen Festen wie Hochzeit, Taufe und natürlich auch Abschied. Die Trauerfeier, letzte Fest eines Menschen auf Erden. Bei all diesen Lebensereignissen spreche ich als freier Redner – als Wunschredner.
Und alle dieser Feierlichkeiten haben eines gemeinsam: Es geht um Leben, Lieben, Lachen.
Ja, auch bei der Trauerfeier darf geschmunzelt werden. Und auch Episoden aus dem Familienleben bleiben nicht verborgen. Von der Erdbestattung eines Regenwurms bis zur Verwandlung von Wasser in Eis.